Sakkadische Ortungsgeschwindigkeit in unterschiedlichen Sportarten
Ein Parameter zur Quantifizierung und Einschätzung der Leistungsfähigkeit des Bewegungssehens ist die sog. dynamische Sehschärfe.
Sie wird von LUDVIGH & MILLER (1953) in Abgrenzung zur (statischen) Sehschärfe als die Fähigkeit definiert, ein möglichst kleines "kritisches Detail" in einem mit konstanter Winkelgeschwindigkeit bewegten Sehobjekt (z.B. LANDOLT-Ring) korrekt zu erkennen. |
Kenngröße für die dynamische Sehschärfe ist somit das "Minimum separabile" bei einer definierten, meist relativ geringen Winkelgeschwindigkeit des Sehzeichens.
Sie repräsentiert folglich das räumliche Auflösungsvermögen des Auges für bewegte Objekte. Sportnäher - vor allem in bezug auf die hohen Ball- und Aktionsgeschwindigkeiten in den Rückschlag- und Sportspielen - ist es jedoch, jene Fähigkeit des visuellen Systems zu ermitteln, ein Sehobjekt bestimmter Größe (z.B. Tennisballgröße) mit konstantem "kritischen Detail" bei möglichst hohen Winkelgeschwindigkeiten korrekt zu "orten". So sind z.B. Aufschlaggeschwindigkeiten zwischen 200-240 km/h beim ersten Aufschlag im Spitzentennis keine Seltenheit.
Bei dieser auch als "(maximale) sakkadische Ortungsgeschwindigkeit" bezeichneten Kenngröße des Bewegungssehens steht also weniger die Auflösungsleistung der Netzhaut (die Sehschärfe) als vielmehr die koordinative Leistungsfähigkeit der Augenmuskulatur (die Blickmotorik) im Vordergrund. |
Beide o.g. methodischen Vorgehensweisen werden aber in der Literatur häufig synonym unter dem Oberbegriff "dynamische Sehschärfe" zusammengefasst. Höhere sakkadische Ortungsgeschwindigkeiten sind nur durch eine effektive Kombination von Blicksprüngen (Sakkaden) und Augenfolgebewegungen realisierbar.
Untersuchungen an Spitzensportlern zeigen, dass die Rückschlagspieler(Tennis- und Tischtennisspieler) deutlich höhere Ortungsgeschwindigkeiten als Sportler aus den Sportspielen (Basketball, Handball und Volleyball), den Individualsportarten (Schwimmen, Rhythmische Sportgymnastik/Turnen oder Alpin-Skifahren) oder "Nicht-Sportler" erzielen.
Sportartspezifische Unterschiede in der statischen Sehschärfe, wie sie bei jedem Sehtest beim Augenarzt oder Optiker bestimmt wird, bestehen hingegen nicht.
Eine geschlechtsspezifische Differenzierung zeigt, dass die männlichen Sportler in den "schnelleren Sportarten" (z.B. Tennis, Handball oder Volleyball) deutlich höhere Ortungsgeschwindigkeiten erzielen als die weiblichen, während bei "Nicht-Sportlern" kaum Unterschiede festzustellen sind.
Diese Geschlechtsspezifik könnte darin begründet sein, dass die Ball- und Aktionsgeschwindigkeiten in den genannten Sportarten im Herrenbereich deutlich höher sind als bei den Damen. Diese fungieren somit möglicherweise als adäquater Trainingsreiz für adaptive Prozesse im Bereich der Blickmotorik.
Aufschlussreich ist ferner der Vergleich von jugendlichen und erwachsenen Spielern. So erzielen erwachsene Tennisspieler signifikant höhere Ortungsgeschwindigkeiten als Nachwuchsspieler.
Die Leistungsentwicklung der Ortungsgeschwindigkeit im Altersgang ist neben der allgemeinen koordinativen Entwicklung sicherlich auch auf beanspruchungsinduzierte Anpassungseffekte, d.h. Training, zurückzuführen.
Dafür spricht auch die Tatsache, dass signifikante Geschlechtsunterschiede in der Ortungsgeschwindigkeit erst deutlich nach der Pubertät - also nach einem Zeitpunkt, an dem die Kraftentwicklung bei den männlichen Jugendlichen in höhere Ballgeschwindigkeiten umgesetzt wird - auftreten. Die Tatsache, dass in Einzelfällen auch schon in der Altersklasse der 10-12jährigen Ortungsgeschwindigkeiten von über 300°/s erzielt werden, zeigt, dass auch genetische Ursachen (das "schnelle Auge" von Natur aus) anzunehmen sind.
Alle beschriebenen Ergebnisse unterstützen die These, dass belastungsinduzierte Anpassungserscheinungen durch sportarttypisch hohe Ball- und Aktionsgeschwindigkeiten für das bessere dynamische Sehvermögen der Rückschlagspieler von Bedeutung sind. Die Trainierbarkeit der sakkadischen Ortungsgeschwindigkeit und der koordinativen blickmotorischen Leistungsfähigkeit wurde inzwischen durch zahlreiche Studien belegt (z.B. LONG & ROURKE 1989, TIDOW 1996).
Die Leistungsfähigkeit und Präzision von Augenbewegungen können u.a. mit Hilfe der Elektrookulographie (EOG) bestimmt werden. Dabei wird das korneo-retinale Bestandspotential genutzt, das einen Dipol mit dem umgebenden elektrischen Feld bildet. Durch Anbringen von nasalen und temporalen Elektroden kann die Verschiebung der Dipolachse, d.h. die Augenbewegung, abgegriffen und über ein Verstärker- und Schreibersystem aufgezeichnet werden. |
Als eine Konsequenz für die Trainingspraxis ergibt sich somit die Möglichkeit, z.B. hohe Ball- und Aktionsgeschwindigkeiten, die entsprechend hohe koordinative Anforderungen an die Blickmotorik stellen, als Trainingsreiz für die Blickmotorik einzusetzen.