Gehirnaktivität und Stressprovokation
Das Gehirn ist das wichtigste und dennoch das am wenigsten entschlüsselte Organ der Sportler und Sportlerinnen. Bei der Beschäftigung mit diesem zentralen Steuerungsorgan vereinigt man unweigerlich verschiedenste Forschungsdisziplinen, die aus der jeweiligen Perspektive ein und dasselbe Phänomen unterschiedlich beschreiben.
Hollmann et al. (21) machen auf die Bedeutung der Hirnforschung für die Sportmedizin aufmerksam. Unser Gehirn mit seinen multiplen, parallelen Repräsentations- und Verarbeitungsprinzipien ist ein perfektes Kontrollsystem für unseren Organismus. Jede Veränderung der Außen- oder Innenwelt wird mit einer Änderung der subjektiven Position beantwortet. Damit wird die neurowissenschaftliche Tatsache dargestellt, dass es im ZNS keinen stabilen Zustand gibt. Die sich ständig ändernden Situationen erfordern vom Individuum wechselnde Reaktionen immer neuerer Art.
In engem Zusammenhang mit den wissenschaftlichen Forschungs- und Messmethoden wurden Erkenntnisse darüber gewonnen, wie das Gehirn unseren Körper auf bevorstehende Beanspruchungen vorbereitet. Zurückgehend auf das Aktivierungskonzept von Lindsley (31) wird die EEG-Arousal Reaktion als "Weckreaktion" aufgefasst.
Der Begriff "Arousal" beschränkt sich nicht nur auf allgemeine Veränderungen im EEG, sondern bezieht sich ebenfalls auf die periphere autonome Aktivität der kardiovaskulären, respiratorischen und elektrodermalen Anteile sowie auf die Muskelspannungen (66).
Im EEG erscheint dies in einer Desynchronisation (höherfrequentes, niederamplitudiges EEG) und wird mit höherer Aufmerksamkeit, Anspannung, Aktivierung oder mit Denkvorgängen in Verbindung gebracht.
Dieses "helle Wachbewusstsein" für Sinnesreize wird durch das sog. aufsteigende retikuläre Aktivierungssystem (Arousal-System, ARAS) der Formatio retikularis erzeugt.
Das ARAS bildet mit diffusen thalamischen Projektionskernen und limbischem Einfluss die funktionelle Einheit für unsere seelischen Grundzustände wie Stimmung, Angst etc. Dabei wird den lateralen Kernen des Hypothalamus eine Regelungsfunktion des Aktivitätszustandes, der Aufmerksamkeit und des Erregungsniveaus zugeschrieben (58).
Die Abbildung zeigt eine deutliche Aktivierung im rechten Map, die durch die Beanspruchung in einer Stresssituation hervorgerufen wurde.
Mit dem zentralen Aktivierungsniveau vor bzw. nach sportlichen Belastungssituationen beschäftigen sich verschiedene sportmedizinische Arbeitsgruppen (1, 7, 12, 30, 33, 49, 51, 57).
Es wurde ein prinzipieller Zusammenhang zwischen der psychophysiologischen Leistung und dem Aktivierungsniveau in Form eines inversen "U" beschrieben und damit eine optimale kortikale Aktivierung für die angeforderten "Betriebsbedingungen" des Organismus aufgezeigt (7, 30, 48, 50).
Sowohl über eine direkte symphatische Aktivierung, eine parasymphatische Deaktivierung, als auch indirekt über die Hypophysen-Nebennieren-Achse wird vom Gehirn Einfluss auf periphere Organsysteme genommen.
Die Tatsache, dass bei der Regeneration Umkehrungsprozesse ähnlich zentral gesteuert sein müssen und das richtige Verhältnis zwischen Beanspruchung und Regeneration entscheidend für eine Leistungssteigerung durch Training ist, macht diesen Gegenstand zu einem interessanten Forschungsgebiet.
Vom Bundesinstitut für Sportwissenschaft wurde 2002 ein Forschungsprojekt unterstützt, das sich mit der zentralnervalen Downregulation bei Sportlern und Sportlerinnen mit unterschiedlicher Leistungsfähigkeit beschäftigt.
Darin konnte die downregulierende Umschaltung verschiedener Subsysteme mit Beeinflussung des limbischen Systems festgestellt werden. Ferner wurde eine Interaktion zwischen den zentralen und peripheren Mechanismen der Stressbewältigung (Downregulation von Stress) korrelativ ermittelt.
Die allgemeine Annahme, dass leistungsfähigere Athleten und Athletinnen besser regenerieren, zeigte sich nur indirekt (4).
Aufschluss müssen weitere interdisziplinäre Forschungsarbeiten bringen: vielleicht aus der Psychoneuroendokrinologie.
Ein denkbarer Zusammenhang mit dem Stresssystem über Cortisol-Rezeptoren im Hippocampus wird von Weiß wie folgt formuliert: Möglicherweise bewirkt die chemische Erhöhung von Cortisol durch Stress (auch provoziert durch (Ultra)Langzeitbelastungen) nicht nur eine Downregulation neuronaler Aktivitäten sondern sogar eine Neurotoxitität.
Dies führt zu einer gestörten Aktiviät der Hyperthalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden. Eine derartige Regulation findet man z.B. bei Krankheiten des depressiven Formenkreises. Ferner unterscheiden sich die Symptome von depressiv Erkrankten kaum von denen des Übertrainingszustandes.